Zum Weiterlesen: Tilmann Holzer: Die Geburt der Drogenpolitik aus dem Geist der Rassenhygiene

Anlässlich meines Vortrages beim Hayek-Kreis der FNF-Stipendiaten in Leipzig möchte einige wichtige Bücher, Einzeltexte, Nachrichtenquellen etc. hier vorstellen und in der Kategorien „Quellen“ sammeln. Den Beginn macht das zweite Werk von Tilmann Holzer. Er ist arbeitete einige Jahre im Büro der Drogenbeauftragten und inzwischen bei Dr. Harald Terpe, er ist zusammen mit Georg Wurth einer meiner längsten Weggefährten im Bereich Drogenpolitik.

In seinem zweiten Buch „Die Geburt der Drogenpolitik aus dem Geist der Rassenhygiene: deutsche Drogenpolitik von 1933 bis 1972“ beschreibt er die Geschichte der Drogenpolitik in Deutschland. Ihren Ursprung hatte sie u.a. im Opiumgesetz 1930, beschlossen aufgrund des Friedensvertrags von Versailles § 285 (Siehe auch: Im Anfang war das Gesetz zur Ausführung des Internationalen Opiumabkommens vom 23. Januar 1912). Die Zeit davor bis zur die Geburt der Idee Drogenpolitik und die dazugehörige Ideengeschichte behandelt Holzer in seinem ersten Buch „Globalisierte Drogenpolitik – Die protestantische Ethik und die Geschichte des Drogenverbots“ . Die Drogenpolitik beschränkte sich in der Weimarer Republik auf Wirtschaftspolitik im Sinne der Pharmazeutischen Industrie, Alkoholpolitik durch gemäßigte und radikal also abstinente Organisationen wie den bis heute existierenden Guttemplern, Blaues Kreuz und Kreuzbund – und sowie dem überschaubaren Einsatz in Medizin und Forschung.

Mit der Machtergreifung 1933 kamen verstärkt die militärische Nutzung dazu sowie die an der pseudowissenschaftlichen Vererbungslehre und dem Volksgesundheitsgedanken orientierte Ideologisierung inklusive Gesetze und Maßnahmen zur Umerziehung und Rassenhygiene, insbesondere bei Alkoholikern. Eine Kohärenz gab es wie heute nicht nicht, Tabak für Soldaten gab es weiterhin und Alkohol wurde keineswegs geächtet. Für den totalen Krieg wurde Pervitin  (Methamphetamin, „Crystal Meth“) genutzt und war auch sonst fester Teil des Marschgepäcks. Den Umgang mit Methadon bis weit in die moderene BRD geht auf Reichtsgesundheitsführer Conti zurück. Protagonisten waren insbesondere die radikalen, bereitwillig selbst-gleichgeschaltenten Alkoholabstinenzverbände. Es entstanden die ersten Rauschgiftdezernate sowie das Bild des Drogendealers, damals jüdisch und mit Zigaretten handelnd. In der BRD war der Sterotyp dann „Südländisch“ mit Heroinhasch im Angebot und dann später der Schwarz mit Kokain.

Die Relevanz für die heute Drogenpolitik wird klar, wenn man liest wie 1945 weder in den Universtitäten, der Medizin, der Polizei noch in der Ministerialbürokratie ein Wechsel und Entnazifizierung von Inhalten oder Personen stattfand. Das Gedankengut der Nazis wurde von T4 Gutachtern in die Lehrpläne und Standwerke der BRD geschrieben. Täter wie Albrecht Langelüddeke prägten das (Medizin-)Strafrecht bis in die 80er Jahre, ihre Spuren finden sich beispielsweise in der „Großen Strafrechtsreform“. Weitermachen konnten auch die Alkoholabstinenzverbände bzw. ihre Organisationsform Reichtsstelle gegen die Alkohol- und Tabakgefahren und gründeten die DHS in Hamm. Die Kontinuitäten im rassenhygienischen Geiste zeigten sie im Motto ihrer ersten Jahrestagung „Volksgesundheit – Aufgabe und Verpflichtung“. Sie bliebe lange Zeit die einzigen Drogenexperte in Deutschland und ihr Abstinenzdenken wurde mit dem BtmG 1968/72 für alle dort genannten und folgenden Drogen festgeschrieben. Für eine Drogenpolitik der „Mäßigung“ gab es damals keine Führsprecher mehr.

Titel    Die Geburt der Drogenpolitik aus dem Geist der Rassenhygiene: deutsche Drogenpolitik von 1933 bis 1972
Autor    Tilmann Holzer
Verlag    Books on Demand, 2007
ISBN    3833490144, 9783833490149
Länge    591 Seiten

Hier noch das Fazit einer Rezension von Prof. Dr. Stephan Quensel, Mitherausgeber der Zeitschrift Monatsschrift für Kriminologie:

Holzer  bietet eine akribisch, fast detektivisch – u.a. mit 2.256 Anmerkungen – vorangetriebene  historische Analyse der Jahre 1933 bis 1972, in denen zwar kaum ein eigentliches „Drogenproblem“ bestand, doch die dazu passende Drogen-Politik ihre Ideologie und Organisation ungestört entfalten konnte. Er versteht diese Phase als eigenständigen Beginn einer auf Rassenhygiene und Volksgesundheit ausgerichteten nationalsozialistischen Drogen-Politik, die erst gegen Ende der 60ger Jahre – mit gewissen verbleibenden Restbeständen – von einem Jugend-bezogenem Präventions-Sorge-Paradigma abgelöst worden sei. Hier setzt der Historiker jeweils seine eigenen Akzente. Stützt man sich dagegen auf die oben angesprochenen sozialpädagogisch und kriminologisch orientierten Analysen, dann tritt über die Jahrzehnte hinweg seit Ende des 19. Jahrhunderts bis in die heutige Zeit die Dominanz eines psychiatrisch-biologistischen Denkens stärker ins Bewusstsein, das im Nationalsozialismus  dann – wie so viele andere Vorgänger (Jugendbewegung, Arbeiterkultur etc.) – lediglich  an der sichtbaren Oberfläche spezifisch rassen-hygienisch eingefärbt wurde. Weswegen es auch heute noch in seiner – wiederum genetisch-neurologisch-psychiatrisch moderner formulierten –  Grundhaltung fast ungebrochen fortdauern kann.